Vielleseverfahren

Kinder, die viel lesen, öffnen Fenster zur Welt – und wachsen über sich hinaus. (anonym)

Wie können Kinder nicht nur zum Lesen gebracht, sondern fürs Lesen begeistert werden? Vielleseverfahren bieten eine erprobte und praxisnahe Antwort: Sie motivieren Schüler:innen durch freie Lesezeiten, vielfältige Texte und eine lebendige Lesekultur.

Das Vielleseverfahren ist eine strukturierte Lesefördermaßnahme, bei der Kinder regelmäßig und möglichst selbstbestimmt lesen. In Anlehnung an das "Mehrebenenmodell des Lesens" von Rosebrock & Nix (2008) stellt das Vielleseverfahren die Subjektebene in den Mittelpunkt.

Dementsprechend fördern Vielleseverfahren die Lesemotivation, das Selbstkonzept als Leser:in und die Lesepräferenz, indem...

  • das Selbstkonzept als Leser:in durch freie Textwahl, regelmäßige Lesezeiten und individuelle Lesefortschritte gestärkt wird.
  • Schüler:innen Lesen als selbstbestimmte Aktivität erleben, was laut der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan 1991) die Motivation nachhaltig steigert.
  • feste Lesezeiten den Aufbau von stabilen Lesegewohnheiten ermöglicht.
  • für buch- und bildungsferne Schüler:innen interessanter Lesestoff zugänglich gemacht wird und sie Freude und Sinn im Lesen erleben.
  • Lesepässe, Buchpräsentationen oder Lese-Challenges sichtbare Erfolgserlebnisse schaffen – elementar für intrinsische Motivation.

Ob in fest eingeplanten Lesezeiten, mit Lesepässen oder in kreativen Lesetagebüchern: Ziel ist es, die Freude am Lesen zu wecken und dabei die Lesekompetenz systematisch zu entwickeln. Dabei wirken Vielleseverfahren nicht primär auf der technischen Ebene, sondern entfalten ihre Stärke auf der Subjekt- und sozialen Ebene.

Nicht alle Schüler:innen lesen automatisch viel, weshalb Vielleseverfahren nicht per se einen positiven Effekt garantieren. Sie verlangen einen weitgehend eigenständigen Leseakt, der geübten Leser:innen leichter fällt. Andere können von der Lesemenge oder allein durch die Tatsache, dass sie lesen sollen, überfordert sein. Es ist daher wichtig, dass Lehrpersonen durch gezielte Impulse und Anreize Schüler:innen zum Lesen anregen. Dabei sollten sie beachten, dass sich alle aktiv am Vielleseverfahren beteiligen können (vgl. Rosebrock &. Nix 2020, __).

Folgende Aspekte sind bei der Durchführung relevant:

  • Es darf keine Vorgabe hinsichtlich der Art oder Qualität der Texte gegeben werden - alle Textformen werden zugelassen.
  • Es gibt keine Aufgabenstellungen oder Analysen zur Lektüre.
  • Die Lektüre des Buches darf bei Nichtgefallen abgebrochen werden, wenn zumindest einige Seiten gelesen wurden ("Zehn-Seiten-Chance").
  • Die Lehrperson ist während der Lesezeit ein Lesemodell.

Vielleseverfahren schaffen strukturelle Rahmenbedingungen, in denen Schüler:innen das Lesen als bedeutungsvoll, selbstbestimmt und gemeinschaftlich erfahren. Damit leisten sie einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung einer nachhaltigen Lesekompetenz, indem Schüler:innen eine Haltung entwickeln, die das Lesen als Teil der eigenen Lebenswelt begreift.

Exemplarische Methoden

  • Kilometer-Lesen (oder Büchermeilen sammeln): Jedes gelesene Buch entspricht einer bestimmten „Strecke“ (z. B. 1 Buch = 1 km oder eine Seite = 1 m). Gemeinsam sammelt die Klasse Kilometer. Durch sichtbare Fortschritte entsteht der Anreiz mehr zu lesen. Zur Visualisierung kann eine Karte mit untrschiedlichen Stationen aufgehängt werden.
  • Lesestars / Lesepunkte-Sammelaktion: Für jedes gelesene Buch erhalten Schüler:innen Punkte oder Sterne, ggf. gestaffelt nach Schwierigkeit oder Seitenanzahl. Dieses Format zielt darauf ab die Eigenmotivation zu fördern. Variante: "Lesekönig:in des Monats“ oder Team-Wettbewerb.
  • Lesechallenge: Lesen „gegen die Uhr“ oder über einen längeren Zeitraum (z. B. ein Monat). Ergänzung: Mit Startnummern, Lese-Tickets, Leselogbuch.
  • Lesemarathon: Schüler:innen lesen entweder 42, 21 oder 11 Bücher in einem bestimmten Zeitraum. Die Bücheranzahl entspricht einem ganzen Marathon, einem Halb- oder Viertelmarathon.
  • Bücher-Bingo: Jede:r Schüler:in erhält eine Bingokarte mit verschiedenen Buchkategorien (z. B. „ein Buch mit einem Tier“, „ein Klassiker“). Daruch soll vielfältiges Leseverhalten angeregt werden.
  • Lesekisten-Rallye: Die Klasse „wandert“ in Teams oder Stationen durch verschiedene Lesekisten (z. B. Fantasy, Abenteuer, Sachbücher). Aus jeder Kiste soll zumindest ein Buch ausgewählt werden. So lesen die Schüler:innen in verschiedenen Genres.
  • Lesen auf Reisen / Leserucksack: Ein „Leserucksack“ mit Büchern, Reisetagebuch und kleinen Extras wandert durch die Klasse. Hier können Eltern mit einbezogen werden.
  • Buchstaben-Safari / ABC-Lesen: Die Schüler:innen lesen Bücher zu jedem Buchstaben des Alphabets (z. B. A = Abenteuerbuch). Daruch wird wieder ein breites Lesespektrum und eine kreative Buchauswahl angeboten. Die Visualisierung kann durch eine Alphabet-Wand oder eine persönliche Lesekarte erfolgen.

Quellen

Rosebrock, C. & Nix, D. (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung (9. Aufl.). Schneider Verlag Hohengehren.