Zwischen Naturwissen und Fiktion: Schreiben auf Krähisch

Literacy.at im Interview mit Vanessa Walder über „Revier der Raben“, einen Roman, der gleichzeitig ein Sachbuch ist.

 

Kinder- und Jugendbücher mit Tieren in den Hauptrollen sind ebenso beliebt wie verbreitet. Romane wie die „Warrior Cats“-Serie verkaufen sich millionenfach, aber auch aufwendige Sachbücher zu Naturthemen, wie die von Peter Wohlleben und Carsten Brensing, liegen voll im Trend. Zwischen diesen Bereichen steht eine Buchreihe, die romanhaftes Erzählen mit Sachinformation verbindet.

„Das geheime Leben der Tiere im Wald“ der österreichischen Autorin Vanessa Walder ist aus der Sicht der Tiere erzählt und berücksichtigt dabei die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Damit sticht diese Buchreihe für Kinder ab 8 Jahren – besonders geeignet aber auch für die 5. und 6. Schulstufe – heraus.

Die ersten drei Bände haben das Leben von Wölfen, Bären und Füchsen beschrieben. Der vierte und neueste Roman heißt „Revier der Raben“ und handelt von Kolkraben. Literacy.at fragt die Autorin, wie dieses Buch entstanden ist.

Literacy.at: Sie haben „Revier der Raben“ Ihrem Vater gewidmet, „der alles über Vögel wusste und immer noch mehr wissen wollte“, wie es in der Widmung heißt. Wie waren Ihre ersten Begegnungen mit Vögeln allgemein und mit Kolkraben im Besonderen?

Vanessa Walder: Ich muss zugeben, dass ich mich als Kind nicht sonderlich für Vögel interessiert habe. Sie sind noch nicht mal als Babys putzig und knuddelig. Man sieht durch die dünne, federlose Haut die Organe und die Augäpfel durch. Dadurch wirken sie eher wie Aliens. Ich habe Vögel erst richtig entdeckt, als ich meine erste Wohnung mit Terrasse hatte und im Winter Vogelhäuser aufstellen konnte. Da war es plötzlich spannend, zu beobachten, welche Vögel sich blicken lassen und wie sie sich ihren Artgenossen gegenüber verhalten.

Was fasziniert Sie an Kolkraben, warum haben Sie gerade Kolkraben zu den „Helden“ Ihres Romans gemacht?

Ich wusste vage, dass Raben intelligent sind. Dass sie zu den intelligentesten Tieren überhaupt zählen und dabei sogar Primaten und siebenjährige Menschenkinder übertreffen, hatte ich noch nicht gehört. Ich habe wochenlang YouTube-Videos über Raben gesichtet. Es ist wirklich umwerfend, welche Probleme die Tiere lösen können. Was mich dabei besonders verzaubert hat, ist der Sinn für Humor, den sie an den Tag legen. Ich habe dann Bücher von Rabenexperten gelesen (einer der führenden weltweit ist Thomas Bugnyar) und die Schwarzgefiederten richtig ins Herz geschlossen. Es ist erstaunlich, wie sie Partnerschaften mit Menschen eingehen und Freundschaften schließen. Wie sie sich merken, wer ihnen Böses oder Gutes getan hat und das in Geschichtenform an die Nachbarn und Nachkommen weitergeben.

Sie wählen für die Dialoge und die Ausrufe der Kolkraben eine ganz eigene Form. Die Tiere unterhalten sich nicht durchgängig – wie bei einer Fabel – in Menschensprache, sondern verwenden auch Laute in „Krähisch“, wie Sie das nennen. Dabei gibt es verschiedene Lautfolgen, die in verschiedenen Situationen zum Einsatz kommen. Warum sind Sie so vorgegangen? Welche Absicht haben Sie damit verfolgt?

Raben- und Krähenvögel haben ihre eigene Sprache. Forscher haben festgestellt, dass Rabenvögel über ein großes Vokabular verfügen und jeder Laut eine Bedeutung hat. Ich habe bei der Recherche ein kleines Wörterbuch angelegt mit den Lauten und ihrer Übersetzung. Offenbar gilt diese Sprache sogar international, mit leichten Abweichungen. Natürlich konnte ich das Buch nicht komplett in Rabensprache schreiben, weil es für ein menschliches Publikum gedacht ist. Aber ich wollte wenigstens ansatzweise vermitteln, dass es den Kolkraben tatsächlich möglich ist, mit ihrer Sprache etwa Menschen oder Landschaften ganz genau zu beschreiben. So genau, dass andere Raben Orte finden, an denen Nahrung wartet, oder dass sie Menschen meiden, die eine Gefahr für die Vögel darstellen. Besonders schön fand ich dabei, dass wir diese Laute das ganze Jahr über selbst hören. Egal, wo wir wohnen – die Rabenvögel sind auch da. Und wenn ein Kind im Winter das „Haah-haaah“ hört, weiß es, dass da ein Rabe oder eine Krähe Fressen entdeckt hat.

Sie beschreiben in Ihrem Roman das Verhalten der Raben sehr genau, zum Beispiel ihre Angewohnheit, Dinge vor anderen zu verstecken, wenn diese nicht achtgeben. Dieses Verhalten wurde ja auch von der Wissenschaft untersucht. Wie wichtig war es Ihnen, das Verhalten der Raben „richtig“ zu beschreiben? Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Es ist mir sehr wichtig, dass die Verhaltensweisen der Tiere in den Büchern dem Stand der Forschung entsprechen. Das führt allerdings dazu, dass die Arbeit daran sehr, sehr lange dauert. Bei den ersten vier Bänden habe ich jeweils acht bis zwölf Monate für eine Tierart recherchiert. Der Lebensraum, über den ich schreibe, ist dabei der Wald. Also habe ich mir alle bekannten Waldtiere zumindest einmal oberflächlich angesehen und darauf gewartet, dass mir etwas begegnet, was mich packt, was ich noch nicht wusste und was ich besonders interessant fand. Bei den Wölfen war das ihre Zusammenarbeit mit Raben bei der Jagd. Bei den Grizzlys die Tatsache, dass die Grizzly-Mütter die Babys im Schlaf zur Welt bringen. Bei den Füchsen fand ich spannend, dass sie Himmelsrichtungen „sehen“ können, und bei den Raben war es ihre unglaubliche Intelligenz. Sobald ich diese Inspiration gefunden habe, beginnt die Detailrecherche. Ich suche nach Sachbüchern und Studien zu der Tierart und fange an zu lesen und Notizen zu machen. Abends sehe ich mir Dokumentationen an: Die bieten meistens nicht so viele Fakten, geben aber ein Gefühl dafür, wie sich die Tiere in ihrem Lebensraum bewegen und verhalten. Wenn ich merke, dass mir Informationen fehlen, kontaktiere ich Experten und frage nach. Das war besonders bei den Grizzlys nötig. Erst wenn ich merke, dass ich in weiteren Büchern nichts Überraschendes mehr finde, fange ich an, mir Gedanken zu machen, wie die Geschichte aussehen könnte.

Raben werden von vielen Menschen mit dem Tod in Verbindung gebracht. Manche nehmen das als Anlass, sie zu jagen und zu verfolgen. Wie kam es zu dieser Einordnung? Was könnte man tun, damit sich diese Einstellung ändert?

Wie ich im Fragenteil des Buches erkläre, ernähren sich Rabenvögel von Aas. Sie waren also– genau wie Geier – immer über Schlachtfeldern am Himmel zu sehen. Wo es Tote gab, gab es auch Raben. So wurden sie in der Wahrnehmung der Menschen zu Totenvögeln. Allerdings bringen sie nicht den Tod, sie entsorgen ihn nur. In den letzten Wochen gab es wieder Schauergeschichten über Killer-Raben in den Medien. Solche Berichte tauchen alle paar Jahre auf und haben sich bislang nie als wahr erwiesen. Das ändert aber nichts daran, dass die Medien die Geschichten liebend gerne verbreiten, besonders im Sommerloch. Und dass die Leute sie gerne lesen, an Alfred Hitchcock denken und sich wohlig gruseln. Thomas Bugnyar meint, es könnte helfen, wenn wir mehr von den Tieren wissen und sie besser verstehen. Wenn mein Buch dazu beiträgt, freut mich das sehr.

Welches Buch würden Sie, von der Reihe „Das geheime Leben der Tiere im Wald“ abgesehen, jemandem empfehlen, der noch nichts von Ihnen gelesen hat?

Die aus meiner Sicht besten Bücher, die ich geschrieben habe, sind die Bände der Trilogie „Die Unausstehlichen & ich“. Darin geht es um das elfjährige Mädchen Ennie, ein Pflegekind, das in ein geheimnisvolles Internat in den Bergen kommt und dort ausbrechen will, um seinen Bruder zu suchen.

Interview: Michael Achleitner