Aufbruch der künstlichen Intelligenz
KI wird unser Leben und unser Lernen verändern. Wo sie uns nützt und wie sie überhaupt funktioniert, erklärt KI-Experte Jaromir Konecny.
Literacy.at: Herr Prof. Konecny, jeder spricht darüber, die wenigsten wissen es aber genau: Was ist künstliche Intelligenz überhaupt?
Jaromir Konecny: Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Gebiet der Informatik. KI-Programme müssen an sehr vielen Beispielen trainiert werden. Dann können sie uns helfen, komplizierte Probleme zu lösen, die wir selbst nicht verstehen: den Klimawandel, gefährliche Krankheiten, die Energiekrise. Zur KI zählt man alle Modelle, die jede noch so kleine menschliche Fähigkeit nachahmen können. Somit kann künstliche Intelligenz auch ein Programm sein, das Gurken nach ihrer Größe sortiert.
Literacy ist die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. In künstliche Intelligenz übertragen wurde daraus ChatGPT. Was ist das wiederum?
ChatGPT ist ein im November 2022 vorgestellter Chatbot des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI, der in der Lage ist, mit Nutzer:innen über textbasierte Nachrichten und Bilder zu kommunizieren. Was der Chatbot eigentlich nur kann, ist, menschliche Sprache nachzuahmen. ChatGPTs Grundlagen sind die Sprachmodelle GPT-3 und GPT-4. Ein Sprachmodell wie GPT-4 wurde mit Millionen von Texten trainiert – mit hunderten Milliarden Wörtern, von denen sich viele wiederholen, wie „und“, „wie“, „der“, „die“ oder „das“. Durch dieses Training lernt GPT-4, welches Wort am wahrscheinlichsten als nächstes in einem Satz kommt.
Können Sie das Training dieses Sprachmodells möglichst einfach erklären?
Texte werden in einzelne Wörter, Satzzeichen usw. aufgeteilt. Das heißt Tokenisierung. Was der OpenAI-Tokenisierer macht, sieht man in der Abbildung (unten). Die einzelnen Textstücke – Tokens – werden farbig markiert. Dann werden den Tokens Zahlen zugeordnet – Computer verstehen nur Zahlen. So lernt das Modell, welche Wörter in Texten am häufigsten zusammen vorkommen. Fertig trainiert sagt das Modell das wahrscheinlichste Wort vorher. Das ist, wie wenn eine Maschine in einem Haufen von Milliarden verschieden großer Legosteine immer den richtigen Legostein für eine Baulücke findet.
Abb.: Ein Token kann ein Wort, ein Satzzeichen oder eine Sequenz von Buchstaben sein.
Schülerinnen und Schüler glauben, dass schriftliche Aufgabenbeantwortung bzw. die Texterstellung nun wesentlich leichter geworden sind. Die Frage an ChatGPT stellen – klick – fertig. Was sagen Sie als Experte den Schülerinnen und Schülern?
ChatGPT ist keine Wissensdatenbank, sondern ein Sprachmodell. ChatGPT-4 beantwortet viele Fragen richtig, doch einige auch falsch, nämlich dann, wenn die KI zum Beispiel eine ausreichende Anzahl an den gleichen Falschinformationen im Internet findet, gibt es diese weiter – etwa bei gesellschaftlich bestehenden Vorurteilen, was diese dann noch bestärkt. Außerdem kann man Aufgaben stellen, mit denen die KI nicht zurechtkommt, zum Beispiel Aufgaben, in denen unser
abduktives Denken gefordert wird – das Denken aufgrund unserer eigenen menschlichen Erfahrung. Viele Ergebnisse von Programmen wie ChatGPT kann man maximal als Grundlage für die weitere Arbeit heranziehen, auch weil sie sprachlich und inhaltlich letztlich doch nicht ausreichend gut sind. KI ist ein Werkzeug – so wie ein Messer ein Werkzeug ist. Kochen muss man immer noch selber.
Und dennoch kann sie uns unterstützen. Welche Chancen bietet die Verwendung KI-basierter Tools?
Diese Tools können uns bei allen langweiligen und sich wiederholenden Aufgaben helfen, die uns Zeit kosten: Recherchen, Strukturierung von Text, Umformulierungen, Suche von Abkürzungen, Erstellen von Verzeichnissen, Lektorat, Suche nach sachlichen Fehlern, Brainstorming, Übersetzungen usw. Zum Beispiel nutze ich ChatGPT, um meine englische Konversation zu verbessern, die ich dann für das Verfassen von wissenschaftlichen Texten brauche. Ich sage
ChatGPT: „Correct my English if necessary.“ ChatGPT sagt: „Dein Englisch ist super“, und korrigiert dann jedes Wort von mir (lacht).
Wird uns die künstliche Intelligenz ersetzen?
KI soll uns nicht ersetzen, sie soll unsere Fähigkeiten erweitern. Schon deswegen sollten wir KI progressiv nutzen, auch in der Schule. In der Geschichte der Menschheit wurden die meisten neuen Technologien und Werkzeuge zuerst von vielen abgelehnt: Bücher, Webmaschinen, Autos, Taschenrechner, Computer. Trotzdem haben sich diese Werkzeuge durchgesetzt. Als Lehrkräfte und Bildungsverantwortliche müssen wir neue Formen des Unterrichts entwickeln. Es bringt nichts zu prüfen, ob Schülerinnen und Schüler viel leisten und viel auswendig lernen können – das können Maschinen besser. Schülerinnen und Schüler sollten in der Schule ihre menschlichen Fähigkeiten entwickeln, ihre Kreativität, Neugier, Innnovationslust, Empathie und ihre sensomotorischen
Fähigkeiten.
Interview: Michael Achleitner
Weiterführende Informationen
- BLOG: Gehirn & KI - Hirnforschung, künstliche Intelligenz, Bewusstsein und der ganze Rest